Ein Sonntagsspaziergang in das Mittelalter

 

Eine Gruppe von über zwanzig Oldtimer-Freunden traf sich am 15.02.2015 zu dem schon traditionellen Winterausflug. Eine historische Stadtführung durch die einst stolze, mittelalterliche Reichsstadt Esslingen stand auf dem Programm. Mit strahlendem Sonnenschein und einer freundlichen  Stadtführerin wurde die Gruppe auf dem Marktplatz in Empfang genommen und tauchte in die Stadtgeschichte Esslingens ein. 

Neben dem Marktplatz erheben sich die charakteristischen Doppeltürme der gotische Stadtkirche St. Dionysius, die mit einem hölzernen Übergang verbunden sind. Dieser diente dem Türmer, um schneller und ohne Treppensteigen seiner Arbeit nachzukommen.  Unter St. Dionysius liegt  die Keimzelle der Stadt Esslingen mit den ältesten Fundamenten der Stadt, die in der Ausgrabungsstätte unter der Kirche gezeigt werden. Nur wenige Meter entfernt befindet sich das Münster St. Paul, die älteste vollständig erhaltene Dominikanerkirche in Deutschland. Etwas abseits ist noch der 72 m hohe und zurzeit eingerüstete Turm der spätgotischen Frauenkirche sichtbar.

Vom Marktplatz aus zog  die Gruppe weiter über den Rathausplatz zum alten Rathaus, das 1422 als Kauf- und Steuerhaus errichtet wurde. Mit seinen beiden verschiedenen Fassaden ist das alte Rathaus ein besonderes Schmuckstück der Esslinger Altstadt. Die Südseite ziert eine mächtige alemannische Fachwerkfassade, an der  Nordseite wurde durch Heinrich Schickhardt eine Giebelfront mit zierlichem Uhrentürmchen im Renaissancestil errichtet. Das zweistöckige Uhrentürmchen mit  einem  Glockenspiel wurde  von Esslinger Bürgern gestiftet. Es verfügt über ein Repertoire von 200 Liedern und ist mehrfach täglich zu hören. Die astronomische Uhr mit den allegorischen Figuren Justitia (die Personifikation der Gerechtigkeit aus der römischen Mythologie)  und Temperantia (die Mäßigung, eine der vier platonischen Kardinalstugenden) zählt zu den ältesten Deutschlands.

Leider kamen wir nicht in den Genuss des Glockenspiels, das nur um 8.00 Uhr, 12.00 Uhr,
15.00 Uhr, 18.00 Uhr und 19.30 Uhr erklingt. So zogen wir  weiter in die engen Gassen der mittelalterlichen Stadt, vorbei an zahlreichen gut erhaltenen Fachwerkhäusern und Pfleghöfen, die übrigens nicht der Pflege von Kranken und Alten dienten, sondern Verwaltungssitze oder Lagerhäuser von auswärtigen Klöstern, die in Esslingen Besitz hatten, waren.

Am Hafenmarkt, 1465 erstmals als Krautmarkt, ab 1580 als Hafen (Töpfe!)- und Krautmarkt urkundlich belegt, stoßen wir auf dessen Südseite auf eine der ältesten erhaltenen Häuserzeile Deutschlands. Die Häuser wurden in den Jahren von 1329 bis 1333 errichtet. Erst nach dem Stadtbrand von 1701, bei den rund 200 Häusern der Stadt, darunter auch das Rathaus, zerstört wurden, entstand die heutige Platzgröße.

 

Das Gelbe Haus am Hafenmarkt ist im Kern ein Wohnturm aus dem 13. Jahrhundert. Dieser Teil des Gebäudes ist der letzte komplett erhaltene Geschlechterturm der Stadt und beherbergt mittlerweile das Stadtmuseum Esslingen.

Von dort führte unser Weg in Richtung Neckar zu einem herausragenden Bauwerk am Wasser, zur Inneren Brücke. Eine gewaltige mittelalterliche Steinbrücke mit 10 Bögen, die die Maille Esslinger Stadtpark) und die zwei Neckarkanäle überspannt. Finanziert und dokumentiert durch einen Erlassbrief des Papstes Honorius IV aus dem Jahr 1286 in dem jedem, der für den Brückenbau stiftete, 40 Tage Fegefeuer erlassen wurde.  

Die Innere Brücke ist von Häusern aus den verschiedensten Jahrhunderten bebaut. Damit steht die Innere Brücke in einer Reihe mit den bebauten Brücken wie der Ponte Vecchio in Florenz oder der Krämerbrücke in Erfurt. Die Nikolaus Kapelle ist das älteste Bauwerk (gebaut um 1300).

 

ach soviel interessanter und sehenswerter Stadtgeschichte näherten wir uns nun langsam dem Ende der Stadtführung und dem wohlverdienten Mittagessen. So zogen wir von der Inneren Brück vorbei am Speyrer Pfleghof oder auch Kessler-Haus genannt, weil dort die älteste Sektkellerei Deutschlands, die Kessler Sekt GmbH & Co. KG, ihren Sitz hat, in Richtung Palmscher  Bau.  Jonathan Freiherr von Palm, ein Mitglied der hochangesehenen Adelsfamilie Palm, hat dieses stadtbildprägende Gebäude nach dem großen Brand im Jahr 1701 im Stil der Spätrenaissance errichten lassen. Das Haus war ab 1719 Wohnsitz der Familie von Palm. Später residierte dort die Thurn- und Taxische Postverwaltung. Kutschen und Pferdegetrappel kennzeichneten die Atmosphäre des Hauses. Laut Gemeinderatsdokument wurde 1862 die "Dingliche Schildwirtschaftsgerechtigkeit" erteilt. Seither hat der Palmsche Bau seinen guten Ruf als Traditionsstätte gepflegter Gastronomie in Esslingen. In der Freiherr von Palm-Stube stärkten wir uns mit schwäbischen Spezialitäten. Wie die Verfasserin dieses Berichtes beobachten konnte, wurden zahlreiche schwäbische Rostbraten, saure Kutteln, Käsespätzle und Maultaschen aufgetischt und verspeist. Ein schöner Ausklang schwäbischer Stadtgeschichte.

 

Claudia Beck
19.02.2015

 

Oldtimerfreunde Neckar-Alb-Schönbuch e.V. Reutlingen
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